Nahost

BRICS-Mitglied Südafrika verklagt den Zionismus vor internationalem Gerichtshof

Pretorias Anklage gegen Israel ist von entscheidender Bedeutung, nicht nur, um das Blutbad in Gaza zu stoppen, sondern auch, um die erste Flagge der Multipolarität an einem internationalen Gerichtshof zu hissen. Dies ist der erste Versuch, die Straflosigkeit des Westens zu stoppen.
BRICS-Mitglied Südafrika verklagt den Zionismus vor internationalem GerichtshofQuelle: Gettyimages.ru

Von Pepe Escobar

Nichts Geringeres als das gesamte Konzept des Völkerrechts wird ab heute, 11. Januar 2024, in Den Haag vor Gericht stehen. Und die ganze Welt schaut gebannt zu. Denn anders als in der Vergangenheit trifft die Klage Südafrikas Israel diesmal ins Mark.

Es verlangte nach einer afrikanischen Nation, keiner arabischen oder muslimischen. Aber vor allem verlangte es nach einem Mitglied der BRICS, um zu versuchen, die eisernen Ketten zu sprengen, die der Zionismus mittels der Verbreitung von Angst, finanzieller Macht und ständigen Drohungen angelegt hatte, nicht nur um Palästina zu versklaven, sondern auch weite Teile des Planeten. In einer Wendung hin zu einer historischen poetischen Gerechtigkeit, musste es Südafrika sein, eine Nation, die ein oder zwei Dinge über Apartheid weiß, das die moralische Initiative ergriff und als erster Staat beim Internationalen Gerichtshof (IGH) eine Klage gegen das Apartheidsregime Israels einreichte.

Die 84-seitige Klageschrift, ausführlich dargelegt, vollständig dokumentiert und am 29. Dezember 2023 beim Gericht eingereicht, beschreibt detailliert alle Gräueltaten, die im von Israel besetzten Gazastreifen begangen wurden – und immer noch begangen werden –, und die von jedem auf der Welt, der ein Smartphone besitzt, verfolgt werden können. Südafrika bittet den Internationalen Gerichtshof – ein Mechanismus, der von der UN gedeckt ist – um etwas ganz Simples: Das Gericht soll erklären, dass der Staat Israel seit dem 7. Oktober 2023 alle seine völkerrechtlichen Verpflichtungen verletzt hat. Und dazu gehört vor allem auch ein Verstoß gegen die UN-Völkermordkonvention von 1948, wonach Völkermord "Handlungen umfasst, die mit der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten".

Südafrika wird von Jordanien, Bolivien, der Türkei, Malaysia und vor allem von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) unterstützt, in der die Länder des Islam vereint sind und 57 Mitgliedsstaaten umfasst, von denen 48 die Heimat einer muslimischen Mehrheit sind. Diese Nationen repräsentieren die überwältigende Mehrheit des Globalen Südens.

Was auch immer in Den Haag geschehen wird, so könnte es weit über eine mögliche Verurteilung Israels wegen Völkermords hinausgehen. Sowohl Südafrika als auch Israel sind Mitglieder des Internationalen Gerichtshofs – daher sind die Urteile rechtlich bindend. Theoretisch hat der IGH mehr Gewicht als der UN-Sicherheitsrat, wo die USA alle vorgebrachten harten Fakten, die das sorgfältig aufgebaute Selbstbild Israels trüben, mit ihrem Veto abschmettern. Das einzige Problem besteht darin, dass der IGH keine Durchsetzungsbefugnis hat. Was Südafrika in der Praxis jedoch anstrebt, ist, dass der Internationale Gerichtshof gegenüber Israel die Anweisung ausspricht, die Invasion – und den Völkermord – umgehend zu stoppen. Das sollte die erste Priorität sein.

Eine konkrete Absicht zur Vernichtung

Das Lesen der vollständigen südafrikanischen Klageschrift ist eine entsetzliche Belastung. Hier ist im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte am Entstehen, unmittelbar vor unseren Augen, im jungen, techniksüchtigen 21. Jahrhundert. Und diese Klageschrift ist keine Schauerliteratur über einen Völkermord, der in einem fernen Universum stattfindet.

Der Antrag Südafrikas trägt den Verdienst in sich, das Gesamtbild in den breiteren Kontext des Verhaltens Israels gegenüber den Palästinensern während seiner 75-jährigen Politik der Apartheid, seiner 56-jährigen kriegerischen Besetzung palästinensischer Gebiete und seiner 16-jährigen Blockade von Gaza zu zeichnen. Ursache, Wirkung und Absicht sind klar abgegrenzt und gehen über die Schrecken hinaus, die seit der Operation al-Aqsa-Flut des palästinensischen Widerstands am 7. Oktober 2023 begangen wurden.

Dann gebe es "Handlungen und Unterlassungen Israels, die anderen Verstößen gegen das Völkerrecht gleichkommen könnten". Südafrika listet sie mit dem Attribut "völkermörderischer Charakter" auf, da sie mit der erforderlichen spezifischen Absicht – dolus specialis – begangen werden, um die Palästinenser in Gaza, als Teil einer breiteren palästinensischen, rassischen und ethnisch-nationalen Gruppe zu vernichten.

Die Fakten, die auf Seite neun des Antrags vorgebracht werden, sind brutal – sie reichen von wahllosen Massakern an Zivilisten bis zur Massenvertreibung: "Es wird geschätzt, dass über 1,9 Millionen Palästinenser aus Gaza, mit seinen 2,3 Millionen Bewohnern – somit etwa 85 Prozent der Bevölkerung – aus ihren Häusern vertrieben wurden. Für sie gibt es keinen sicheren Ort mehr, an dem sie fliehen können. Diejenigen, die nicht gehen konnten oder sich weigerten, vertrieben zu werden, wurden getötet oder sind in großer Gefahr, in ihren Häusern getötet zu werden."

Und es wird kein Zurück mehr geben: "Wie der Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen feststellte, wurden die Wohnverhältnisse und die zivile Infrastruktur im Gazastreifen dem Erdboden gleichgemacht, wodurch jede realistische Aussicht der Vertriebenen auf eine Rückkehr in ihre Heimat zunichtegemacht wurde, was eine Wiederholung in der langen Geschichte der Massenvertreibung von Palästinensern durch Israel darstellt."

Der mitschuldige Hegemon

Absatz 142 der Klageschrift könnte das ganze Drama auf den Punkt bringen: "Die gesamte Bevölkerung ist vom Hungertod bedroht. 93 Prozent der Bevölkerung in Gaza leidet unter einer Hungerkrise und mehr als jeder Vierte befindet sich in einer katastrophalen Lage" – deren Tod steht unmittelbar bevor.

Vor diesem Hintergrund verschärfte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 25. Dezember – am Weihnachtstag – seine völkermörderische Rhetorik und versprach: "Wir hören nicht auf, wir kämpfen weiter und wir werden die Kämpfe in den kommenden Tagen intensivieren. Es wird ein langer Kampf werden, und er ist noch lange nicht vorbei."

Daher fordert Südafrika "in äußerster Dringlichkeit" und "bis zur Entscheidung des Gerichts in der Sache" einstweilige Maßnahmen, von denen die erste darin bestehen soll, dass "der Staat Israel seine militärische Operation in Gaza umgehend suspendiert". Dies käme einem Waffenstillstand gleich.

Jeder, von Wüste Negev bis tief in jene Arabiens, der auch nur ein Sandkorn Verstand im Kopf hat, weiß, dass die neokonservativen Psychos, die für die US-Außenpolitik verantwortlich sind – einschließlich des ferngesteuerten, senilen Zwischenmieters im Weißen Haus –, nicht nur am israelischen Völkermord mitschuldig sind, sondern auch jede Möglichkeit eines Waffenstillstands ablehnen. Im Übrigen ist eine solche Mittäterschaft nach der Völkermordkonvention ebenfalls strafbar.

Daher ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Washington und Tel Aviv, mit allen verfügbaren Mitteln des Drucks und der Drohung, alles versuchen werden, um ein faires Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof zu verhindern. Dem Vorhaben kommt die äußerst begrenzte Macht entgegen, die ein internationales Gericht ausübt, um der außergewöhnlichen Kombination von Washington und Tel Aviv die Herrschaft des Völkerrechts aufzuzwingen.

Während ein alarmierter Globaler Süden Maßnahmen gegen den beispiellosen Angriff Israels auf Gaza ergreift, wo in weniger als drei Monaten über ein Prozent der Bevölkerung ermordet wurde, hat das israelische Außenministerium seine Botschaften im Ausland darauf eingestellt, Diplomaten und Politiker des Gastlandes unter Druck zu setzen, damit sie unverzüglich "eine eindeutige Erklärung abgeben und öffentlich klar zum Ausdruck bringen, dass ihr Land die empörenden, absurden und unbegründeten Anschuldigungen gegen Israel zurückweist." Es wird sehr aufschlussreich sein zu sehen, welche Staaten dieser Anordnung Folge leisten werden.

Unabhängig davon, ob Südafrikas derzeitigen Bemühungen erfolgreich sein werden oder nicht, wird dieser Fall wahrscheinlich nur der erste seiner Art sein, der in den kommenden Monaten – oder sogar Jahren – vor Gerichten auf der ganzen Welt behandelt wird. Die BRICS, zu denen auch Südafrika als Gründungsmitglied gehört, sind Teil der neuen Welle internationaler Organisationen, die der westlichen Hegemonie und ihrer "regelbasierten Ordnung" entgegentreten. Diese "Regeln" haben keinerlei Bedeutung, niemand hat sie überhaupt je gesehen.

Teilweise ist die Bewegung hin zur Multipolarität deshalb entstanden, um die jahrzehntelange Abkehr von der UN-Charta und die Hinwendung zur Gesetzlosigkeit wieder wettzumachen, die mit dieser illusorischen "regelbasierten Ordnung" zum Ausdruck kommt. Das System der Nationalstaaten, das der globalen Ordnung zugrunde liegt, kann ohne das internationale Recht, das es sichert, nicht funktionieren. Ohne dieses Recht stehen wir vor Krieg, Krieg und noch mehr Krieg – in der Tat das ideale Universum aus endlosen Kriegen, die den Hegemon nähren.

Südafrikas angestrebter Prozess gegen den Völkermord Israels ist ohne Zweifel notwendig, um diese eklatanten Verstöße gegen das internationale System zu revidieren. Er wird mit ziemlicher Sicherheit der erste in einer Reihe solcher Prozesse gegen Israel und seine Verbündeten sein, um die Welt wieder zu Stabilität, Sicherheit und gesundem Menschenverstand zu bringen.

Ersterscheinung in englischer Sprache bei The Cradle.

Pepe Escobar ist ein unabhängiger geopolitischer Analyst und Autor. Sein neuestes Buch heißt "Raging Twenties" (Die wütenden Zwanziger). Man kann ihm auf Telegram und auf X folgen.

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